Nicht behindert zu sein
ist kein Verdienst
sondern ein Geschenk
das uns jederzeit genommen werden kann
Amputation
mit einem Bein fest im Leben stehend
Allgemeines
Es ist schon ein Schicksalsschlag, wenn man durch einen Unfall oder eine Krankheit ein Bein verliert.
Waren es zu Kriegszeiten Minen, die ihren Opfern die Beine wegrissen, so denkt man heute eher an
Motorradunfälle. Im Alter gibt es verschiedene Krankheiten, die das Bein absterben lassen, und eine
Amputation ist unumgänglich. Dies sind wahrscheinlich die häufigsten und bekanntesten Ursachen.
Jedes einzelne Schicksal ist ein anderes.
Wie geht ein Mensch, der gerade erfahren hat, daß er ein Bein verlieren wird, damit um? Inwieweit
verändert sich das Leben danach? Was kann er ohne Bein tun, was nicht? Die Liste dieser Fragen
ließe sich endlos fortsetzen, aber eine Feststellung scheint mir hier am wichtigsten: Das Leben geht
auf jeden Fall weiter!
Ich möchte durch Darstellung meiner eigenen Erfahrungen zeigen, daß der Verlust des Beines auf
gar keinen Fall den Weltuntergang bedeutet. Ich möchte mit anderen Betroffenen diskutieren und
erfahren, wie ihre Erfahrungen sind. Nichtbetroffene sollen hier die Möglichkeit haben, sich ein Bild
davon zu machen, wie das so ist. Falls jemand gerade frisch dieses Schicksal erleidet, dann will ich
denjenigen informieren und ihm durch offene und ehrliche Informationen Mut machen.
Mein persönliches Schicksal
Ich habe mein rechtes Bein wegen Krebs verloren.
Es war im Sommer 1991, als ich an der rechten Wade eine Beule entdeckte, die ich zuerst für einen
Insektenstich hielt. Das komische war, daß diese Beule nicht errötet war und nicht im mindesten
Schmerzen bereitete. Sie juckte noch nicht einmal. Deshalb habe ich diese Beule erst einmal ignoriert.
Als sich diese Beule nach eniger Zeit jedoch nicht zurückbilden wollte, sonder im Gegenteil immer
größer wurde, konsultierte ich meinen Hausarzt. Dem war das nicht geheuer (die Beule war
inzwischen recht groß) und schickte mich zu einem Chirurgen. Mir war damals überhaupt nicht
klar, wie ernst diese Sache war.
Der Chirurg schnitt also das Bein auf und rief: "Hoppla, was kommt mir denn da entgegen?" und mußte
eine ganze Weile herumschneiden, bis er das Geschwulst entfernt hatte. Da die Operationswunde etwas
größer ausfiel als zuerst erwartet, konnte ich nicht mehr mit dem Auto heimfahren und bekam
das operierte Bein in eine Gipsschiene verpackt.
Einige Zeit später stand der Befund fest, und der sagte "bösartig!". Die Frage war nun, wieviel
des Geschürs bei dem Eingriff bereits entfernt worden ist, und ob und wievel nachopieriert werden
muß. Im günstigsten Fall wäre das Geschwulst vollständig entfernt worden.
Also begab ich mich ins Klinikum Mannheim zwecks weiteren Untersuchungen. Damals dachte ich, ja klar,
ein paar Untersuchungen halt. Dann noch eine kleine Operation, um den Rest zu erwischen und fertig.
Dachte ich.
Nach diversen Untersuchungen (es wurden auch die inneren Organe auf Befall untersucht, versteht sich),
eröffnete mir der Chefarzt, irgendein Professor sowieso, daß er mir zur Amputation rät.
Das war dann der Moment, als mir sämtliche Farbe aus dem Gesicht gewichen ist und ich realisieren
mußte, daß diese Sache wohl doch etwas ernster ist, als ich wahrhaben wollte.
Nach Bestätigung des Befundes und Beratung durch einen weiteren Professor einer anderen Klinik
irgendwo im Schwarzwald war folgendes klar: Das Geschwulst hat sich im Unterschenkel schon ziemlich
verbreitet.
Ein Krebsgeschwür muß immer "im Gesunden" entfernt werden. In der Nähe des Tumors darf man
nicht schneiden, da sonst das Risiko groß wäre, daß Krebszellen in den Blutkreislauf
geraten. Diese Zellen befallen irgendwann lebenswichtige Organe, und das wäre dann so eine Art
Todesurteil. Mir standen also folgende Möglichkeiten offen:
Erstens, nichts zu tun. Der Tumor hätte sich weiter ausgebreitet und irgendwann einmal
lebenswichtige Organe erreicht. So etwas ist immer die schlechteste Alternative.
Alternative wäre gewesen, zwei komlpette Muskelgruppen und einen der beiden Knochen zu entfernen.
Der Knochen war zwar nicht befallen, aber derart vom Tumor umgeben, daß man ihn nicht retten konnte,
ohne in der Nähe des Tumors zu schneiden. Vom Bein wäre also nur eine Ruine übriggeblieben,
die ich wahrscheinlich nicht voll belasten gekonnt hätte. Die Notwendigkeit von Krückstöcken
wäre wahrscheinlich gewesen.
Oder aber die Amputation. Im Kniegelenk wird das Bein getrennt. Die Ader wird abgenäht, der Nerv
gekappt. Am Oberschenkelknochen bleibt der Knorpel drauf, und die Kniescheibe wird lose draufgelegt, um
das Kniegefühl zu erhalten. Vorteile: Extrem minimales Risiko der Krebsinfizierung des Körpers,
belastbarer Stumpf, nach Prothesenversorgung Gehen ohne Krücken möglich.
Am 11.11.1991 wurde mir das rechte Bein im Knie amputiert.
Phantomschmerzen
Das nicht mehr vorhandene Bein wird dennoch gespürt. Schließlich sehen die Nervenbahnen die
Existenz des Beines immer noch vor. Und das kann ganz schön schmerzhaft sein.
Mich hat damals niemand gewarnt.
Wenige Tage nach der Operation und mit Nachlassen all der Schmerzmittel ballerten die Schmerzen los:
Glühende Nadeln bohrten sich durch die nicht mehr vorhandene Fußsohle. Ein Preßlufthammer
schmetterte gegen den Fersenknochen. Die Zehen wurden mir jeden Tag aufs neue einzeln ausgerissen. Der
Schmerz war also kaum zu ertragen.
Die Schmerzwissenschaft ist ein Gebiet für sich.
Tatsache ist, daß die angelegten Nervenbahnen für die amputierten Gliedmaßen immer noch
vorhanden sind und weiterhin Informationen transportieren. Das Gehirn ist immer noch bereit, diese Signale
zu empfangen, weil die entsprechenden Schaltstellen ebenfalls noch vorhanden sind. Wegen der Amputation
war die letzte transportierte Information ein heftiger Schmerz. Und das hat sich der Nerv (leider) gut
gemerkt. Nerven haben ein gutes Schmerzgedächtnis.
Als Behandlung gab es gleich zum Anfang irgendwelche KO-Tropfen aus dem Tropf. Ich konnte nichts mehr
essen und mir war total übel davon. Ich war auch so gut wie nicht mehr ansprechbar. Aber angeblich
soll diese Behandlung ziemliche Erfolge aufweisen. Ich weiß nicht.
Dann macht man mit Psychopharmaka weiter. Irgendwie soll das das Schmerzempfinden beeinflussen. Allerdings
ist dieses Zeugs auch nicht so ohne. Meine Umwelt hat meine Stimmungsveränderungen bemerkt. Als die
Blutwerte bedenklich waren, war ich froh, einen Grund zu haben, den ganzen Müll abzusetzen. Mir waren
am Ende die Schmerzen sogar lieber als die Bedröhnung durch die Medikamente.
Recht erfolgversprechend halte ich das TENS. Das ist ein Reizstromgerät, das unterschiedliche Impulse
erzeugt. Die Elektroden werden am anderen (also noch vorhandenen) Fuß angebracht. Dies soll bewirken,
daß das Kleinhirn gegen die Informationsflut abstumpft. Das Kleinhirn hat die Aufgabe, nur die
wesentlichen Informationen ans Großhirn weiterzuleiten. Vielleicht stumpft man im Laufe der Zeit aber
auch so ab.
Ein weiterer Tip hängt mit der Ernährung zusammen. Zuckerreiche Nahrung begünstigt die
Schmerzattacken, also ißt man stattdessen mehr Obst und Gemüse. Das hängt auch irgendwie
mit dem PH-Wert des Urins zusammen. Ich weiß nicht, inwieweit das wissenschaftlich bestätigt
ist, aber das könnte schon so stimmen.
Streß, Wetterumschwünge und falsche Ernährung können auf jeden Fall Schmerzattacken
auslösen. Ich ernähre mich trotzdem nicht immer ganz vernünftig und gegen
Wetterumschwünge kann ich sowieso nichts tun. Aber im Lauf der Zeit stumpft man ganz gut gegen den
Schmerz ab.
Ein Prolem der Wissen schaft: Schmerzen sind subjektiv und lassen sich nicht messen. Nicht wirklich.
Prothesentechnik
Mit einer guten Beinprothese kann man recht gut laufen.
Seit dem zweiten Weltkrieg hat sich viel getan. Holzbeine, mit denen man sich humpelnd vorwärts
bewegt, gehören der Vergangenheit n. Moderne Kunststoffe, Kohlefasern und Titan-Legierungen geben
heute den Ton an. Mit einer gut gebauten Prothese kann man sich so fortbewegen, daß ein
ungeübter Beobachter nichts bemerkt: Der Gang ist dynamisch und gleichmäßig.
Prothesen sind passiv. Die eigene Kraft und Geschicklichkeit sind nötig, die Gelenke und Federn
mit dem richtigen Schwung zu versorgen, der eben jenes harmonische Gangbild ermöglicht. In der
Krankengymnastik lernt man das und der Orthopädietechniker hilft hier sehr stark dabei. Bei
Amputierten, die nicht mehr über ihr Kniegelenk verfügen, bleibt das Treppensteigen (leider)
ein Problem.
Aktive Prothesen, die durch Gehirnwellen gesteuert werden und ein natürliches Bein vollständig
ersetzen können, gehören heute noch der Science Fiction an. Als SF-Fan bin ich auch schon sehr
früh auf eine entsprechende Stelle in einem Roman gestoßen. Leider ein Buch, das ich nicht
wirklich empfehlen kann und daher nicht aufgehoben habe. Sollte ich jedoch irgendwann auf eine interessante
Stelle stoßen, dann werde ich davon berichten.
Die Forschung und Entwicklung läuft in diesem Segment auf Hochtouren. Vor allem in Kriegs- und
Krisengebieten, etwa dem Libanon, ist der Bedarf groß. Vielleicht kommen die intelligenten Prothesen
irgendwann doch noch. Es ist schon heute faszinierend:
Ein Fuß, das aus Kohlefaserfedern besteht und (nahezu) die gesamte Auftrittsenergie von der Ferse
an die "Zehen" weitergibt ist nur ein Beispiel für raffiniert ausgeklügelte Technologie.
Oder ein Kniegelenk, das per Elektronik die Gehgeschwindigkeit des Trägeres überwacht und
das Bein entsprechend schneller oder langsamer nach vorne bringt. Schließlich ist es für
den Träger wichtig, daß das Bein da aufsetzt, wo er es erwartet.
Die jetzt schon vorhandene Technologie läßt für die Zukunft hohe Erwartungen zu.
Vielleicht werde ich eines Tages auch besser Treppen laufen können.
Autofahren mit nur einem Bein
Das ist nun wirklich kein Problem. Es gibt für den Beinamputierten entsprechende Lösungen.
Bekannter und auffälliger sind die Lösungen für Rollstuhlfahrer. Entweder ist das Auto
groß genug, den Fahrer samt Rollstuhl aufzunehmen, oder der Fahrersitz läßt sich so
herausfahren, daß sich der Rollstuhlfahrer leicht umsetzen kann. Dies sind sehr aufwendige Umbauten.
Fast unauffällig ist die Lösung für einen Beinamputierten. Hat jemand "nur" das linke Bein
verloren, so kann er problemlos jedes Auto mit Automatikgetriebe nutzen. Hat es, wie in meinem Fall, das
rechte Bein erwischt, so muß schon ein Pedalumleger her:
Vor dem Gaspedal wird ein Riegel heruntergeklappt, auf dem man den Prothesenfuß abstellen kann
(ohne aus Versehen auf dem Pedal zu stehen). Links wird ein Zusatzpedal angebracht, das per mechanischer
Übertragung das eigentliche Gaspedal bedient. Das Prinzip ist also sehr simpel. Ich mußte mich
lediglich daran gewöhnen, daß Gas und Bremse gefühlvoller getreten werden müssen als
eine Kupplung. Bis vor meiner Operation bin ich nämlich einen Schaltwagen gefahren. Aber keine Panik,
man gewöhnt sich daran!
Mit Mietwägen in Urlaubsländern hatte ich anfangs so meine Probleme. Es hat mich viel Zeit und
Nerven gekostet, bis ich herausgefunden habe, was man beachten muß. Wenn man als Ziel USA oder Kanada
hat, kann man bei Hertz einen Wagen mit Handgas bestellen (möglichst frühzeitig reservieren).
Handgas bekommt man nämlich problemlos zugesagt und man kommt mit der Vorrichtung gut zurecht.
Ein Mitreisender kann wie gewohnt die Pedale bedienen; die Zusatzvorrichtung stört ihn nicht.
Die Autoverleiher verlangen für die behindertengerechte Ausstattung keine Extragebühren.
Jedoch gibt es diese Autos erst ab einer bestimmten Wagengröße, was natürlich teurer ist
als das Supersparmodell. Zugegeben, mit einem Kleinwagen der Spar-Kathegorie durch die USA zu fahren,
macht eh keinen Spaß. So war es für mich auch kein Problem, daß der letzte Mietwagen
ein Ford Taurus (3,0 l Hubraum, 6 Zylinder) war, in dessen Kofferraum die großen Koffer bequem
reinpaßten.
Links und weitere Informationen
Über die Krankheit Krebs informiert der
Krebsinformationsdienst KID
in Heidelberg
Und natürlich die
Deutsche Krebshilfe
Speziell über Phantomschmerzen habe ich nicht viel gefunden, aber vielleicht helfen
die folgenden Seiten:
Wikipedia, Stichwort: Phantomschmerzen
Schmerzforum.de
Zur Prothesentechnik:
Das Orthopädietechnik-Forum
Die Firma Össur
hat das Rheo Knee entwickelt,
die Firma Otto Bock das Konkurrenzprodukt C-Leg.
Und weitere Infos für Behinderte gibt es hier:
4hc - for handicapped
FORUM, das Online-Magazin für Behinderte
Hinweis: Ich habe die Links so angelegt, daß diese in einem neuen Fenster angezeigt werden.
Zum einen gehe ich davon aus, daß der Leser eh zu mir zurückkehren möchte,
zum anderen soll deutlich werden, daß die angezeigten Informationen mit meinem Site
und meiner Meinung direkt nichts zu tun haben.
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